„Die Krise als Chance: Für einen funktionierenden Multilateralismus sorgen“ Available in: Français, Português, руÑ?Ñ?кий, Italiano, ‫العربية‬, English, 日本語, 中文, Español, Korean Robert B. Zoellick Präsident Weltbankgruppe Thomson Reuters Building, Canary Wharf, London 31. März 2009 Einführung Vor beinahe achtzig Jahren erschien einer der größten Ökonomen des 20. Jahrhunderts und bedeutendsten Engländer seiner Zeit, John Maynard Keynes, vor einem Ausschuss der britischen Regierung. Die Welt schlitterte in die Große Depression. In seiner Rede, die er nur wenige Kilometer von hier hielt, appellierte Keynes an die Zuhörer, die bürokratische Engstirnigkeit zu überwinden und sich einen Eindruck von der Lage jenseits des eigenen Tellerrands zu verschaffen. Erst sechs Jahre später veröffentlichte Keynes seine bahnbrechende Allgemeine Theorie, doch er trug bereits einige der darin enthaltenen Erkenntnisse vor: „Wir geraten in einen Teufelskreis: Wir tun nichts, weil wir kein Geld haben; doch gerade weil wir nichts tun, haben wir kein Geld.“ Keynes wollte die Marktwirtschaft retten und fürchtete – in einer Zeit, als der Kommunismus und der Faschismus regen Zulauf fanden – die politischen Folgen eines Scheiterns. Seine Appelle, kleingeistige Interessen zu überwinden, blieben unerhört. Die Regierungen reagierten mit unwirksamen Mitteln auf die Depression. Die Länder übertrafen sich gegenseitig mit Maßnahmen, die Lasten auf andere Länder abwälzten. Und so brach die Katastrophe über die Welt herein. Doch Keynes’ Ideen, die aus einer durch die Krise erzwungenen Chance geboren wurden, haben noch heute Einfluss. Er und andere Persönlichkeiten seiner Generation schufen das multilaterale System, das es noch heute gibt und das wir so umgestalten müssen, dass es den Problemen unserer Zeit gerecht wird. Was Keynes und andere während der Wirren des Zweiten Weltkriegs taten, bündelte Ideen mit Taten. Sie trugen dazu bei, die Wirtschaftsarchitektur der Nachkriegszeit zu erschaffen. Sie legten den Grundstein für die Weltbankgruppe, den Internationalen Währungsfonds und die spätere Welthandelsorganisation. Heute dürfen wir nicht müde werden, Ideen und Taten zu bündeln. In einer Zeit des verlorenen Vertrauens brauchen wir Taten, die das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierungen und deren Fähigkeit, die Herausforderung zu meistern, wiederherstellen. Zu wenig zu tun ist eine größere Gefahr, als zu viel zu tun. Die aktuelle Krise Wenn die Staats- und Regierungschefs in dieser Woche in London zusammenkommen, befindet sich die Welt in einer Lage, die Keynes vertraut sein dürfte. Die Weltbank geht laut jüngsten Schätzungen von einer Schrumpfung der Weltwirtschaft im Jahr 2009 um 1,7 Prozent im Vergleich zu einem Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent im Vorjahr aus. Das Wachstum der Weltwirtschaft würde damit erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg negativ sein. Darüber hinaus erwarten wir einen Rückgang des Welthandels mit Waren und Dienstleistungen um 6 Prozent – der stärkste Rückgang seit 80 Jahren. Was im Jahr 2007 als Finanzkrise begann, hat sich rasch zu einer Wirtschaftskrise zugespitzt. Heute ist es eine Beschäftigungskrise. Wir prognostizieren für dieses Jahr eine kräftige Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Entwicklungsländern um 2,1 Prozent. Außerdem erwarten wir ein echtes Negativwachstum in Mittel- und Osteuropa, Zentralasien, Lateinamerika und der Karibik. In dieser Krise werden die Entwicklungsländer von den Nachbeben erfasst. Diese Nachbeben resultieren aus dem kräftigen Rückgang des Wirtschaftswachstums und der Kreditverknappung in Industrieländern. So wie die Weltwirtschaft einst dazu beitrug, Hunderte Millionen Menschen aus der Armut zu bringen, besteht heute die Gefahr einer Umkehrentwicklung, denn unsere verflochtene Welt überträgt negative Schockwellen mit größerer Wucht und zudem schneller. Private Kapitalflüsse in die Entwicklungsländer nehmen stark ab, und so dürften die Nettozuflüsse im Jahr 2009 auf rund ein Drittel des Spitzenwerts von 1,2 Billionen US-Dollar sinken, der vor zwei Jahren erreicht wurde. Ãœberweisungen nehmen ab, wobei für 2009 ein Rückgang von wenigstens 5 Prozent prognostiziert wird. Darüber hinaus vergrößern einige von den Industrieländern ergriffenen Maßnahmen, wenngleich durchaus nachvollziehbar, die Probleme für die Entwicklungsländer. Regierungen der Industrieländer geben in großem Umfang garantierte Schuldpapiere aus und binden dadurch Mittel, die andernfalls für gut geführte Entwicklungsländer verfügbar wären. Entwicklungsländer, selbst jene mit niedrigem Defizit, können Kredite entweder gar nicht mehr oder nur mit deutlich höheren Zinsaufschlägen aufnehmen. Nach unseren Schätzungen droht 84 von 109 untersuchten Entwicklungsländern in diesem Jahr eine Finanzierungslücke von 270 bis 700 Milliarden US-Dollar. Diese sehr große Spanne deutet auf bedeutende Unbekannte hin, und die beiden größten sind die Höhe der privaten Schulden, die umgeschuldet werden, und die Stärke der Kapitalflucht. Gleichzeitig drückt die sinkende Nachfrage die Industrieproduktion, und die rückläufigen Rohstoffpreise belasten die Finanzlage zahlreicher exportabhängiger Volkswirtschaften. Nur jedes vierte Entwicklungsland kann es sich leisten, Programme zu finanzieren, die die Auswirkungen des Abschwungs abfedern. Diese Ereignisse könnten eine soziale und humanitäre Krise auslösen – mit politischen Folgen. Das Augenmerk lag weitgehend auf den Industrieländern, wo den Menschen der Verlust ihres Hauses, ihres Vermögens und ihres Arbeitsplatzes droht. Das sind durchaus Härten. Doch die Menschen in Entwicklungsländern verfügen über viel kleinere Polster: keine Ersparnisse, keine Versicherung, keine Arbeitslosenhilfe und häufig kein Essen. Unseren Schätzungen zufolge werden bis zu 53 Millionen mehr Menschen in diesem Jahr in der Armutsfalle gefangen sein und aufgrund der Krise von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag leben müssen. Und dies folgt dem starken Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise in den letzten Jahren, durch den 130 bis 155 Millionen Menschen in extreme Armut abrutschten, der viele von ihnen noch immer nicht entkommen sind. Für die Welt war es auch vorher bereits schwierig, die acht Millenniums-Entwicklungsziele bis 2015 zu erreichen. Doch diese Ziele scheinen nun noch unerreichbarer. Betrachten wir zum Beispiel die Kindersterblichkeit, eines der dringendsten Probleme: Wir gehen derzeit davon aus, dass in diesem Jahr aufgrund des Rückgangs des Wachstums 200.000 bis 400.000 Babys mehr sterben werden. In aller Welt Wir leben in einer verflochtenen Welt, doch die Krise macht sich weltweit unterschiedlich bemerkbar. • Ländern in Mittel- und Osteuropa droht möglicherweise die größte Gefahr, wenngleich das Einkommensniveau dort höher ist als in anderen Ländern. Seit dem Ende des Kalten Krieges bauten die Wachstumsstrategien in dieser Region auf die Integration mit der Europäischen Union und der Weltwirtschaft durch Handel, Investitionen, die Freizügigkeit der Menschen und Ãœberweisungen. Dass diese Faktoren nun weggefallen sind, hat daher besonders schwere Folgen. Auf ihrem Weg zum Beitritt zur Eurozone nahmen einige von ihnen darüber hinaus im Inland Kredite in Euro oder Schweizer Franken auf, was bei einem Wertverlust ihrer Landeswährung das Ausfallrisiko steigen lässt. Die Eigentümer der meisten mittel- und osteuropäischen Banken kommen heute aus den westlichen Nachbarländern, wodurch sich das Risiko erhöht, dass ihnen Unterstützung entzogen wird. Kreditverluste im Osten können wiederum Banken in ganz Europa schwächen. Natürlich muss man zwischen den einzelnen Ländern differenzieren. Doch die Logik hinter der europäischen Integration – einer der erfolgreichsten wirtschaftlichen und politischen Errungenschaften der letzten 60 Jahre – ist ja gerade, dass Europa als Ganzes nur größer sein wird als die Summe seiner Teile, wenn sich die Europäer gegenseitig beistehen. Und so haben sich Länder in Mittel- und Osteuropa in der Vergangenheit immer wieder bemüht, im eigenen Land andere Bedingungen zu schaffen als in ihren Nachbarländern, mussten dann aber feststellen, dass Schwäche in einem Land Gefahren für alle birgt. Noch weiter im Osten, in der Ukraine, stellt die Wirtschaftskrise den politischen Zusammenhalt und vielleicht sogar die Nachhaltigkeit auf die Probe. Die leeren Plakatwände in Kiew sind ein Sinnbild für den Verlust der Perspektiven. Vor nicht einmal drei Monaten wollten sie die Verbraucher noch dazu bewegen, mehr Geld auszugeben, doch nun ist jede dritte leer. Unbeklebte Spanplatten und Metallteile sind an die Stelle der Verlockungen aus besseren Tagen getreten. • In Zentralasien stehen arme Länder, die nach Jahrhunderten der Isolation nun allmählich die alte „Seidenstraße“ wieder öffnen, vor einer schwierigen Zukunft. Im vergangenen Jahr hatten Ãœberweisungen von Wanderarbeitern einen Anteil am BIP von 43 Prozent in Tadschikistan und von 28 Prozent in Kirgisistan. Doch durch den Abschwung in Russland und Kasachstan werden Wanderarbeiter in ihre Heimat zurückkehren müssen. In Kasachstan erwartet die Regierung bis zum Jahresende eine Verdopplung der Arbeitslosenquote auf 12 Prozent. Die kasachische Hauptstadt Almaty, die während des Ölbooms im Geld schwamm, ist heute eine Stadt der Bauruinen, stillstehenden Kräne und leerstehenden Gebäude – ein unbeabsichtigtes Monument nicht erfüllter Erwartungen. • In Lateinamerika, das in punkto Haushalt, Währung und Finanzen heute deutlich besser dasteht als früher, ist die Krise zuerst im Handel und der Realwirtschaft spürbar. Während die Probleme in den Industrieländern im Finanzsektor begannen und auf das verarbeitende Gewerbe und andere Sektoren übergriffen, sind in Entwicklungsländern zuerst die produktiven Sektoren betroffen und möglicherweise erst danach die Banken, die Kredite an sie vergeben. Mexiko und Mittelamerika litten unter der schwächeren US-Nachfrage und rückläufigen Ãœberweisungen. Der Einbruch der Rohstoffpreise schadet Brasilien. Zwar bietet der sehr große Inlandsmarkt einen gewissen Puffer, doch wenn der Handel weiter abnimmt, wird Brasilien zunehmend in Not geraten. Länder wie Chile und Peru haben die guten Jahre dazu genutzt, ihre Finanzlage zu verbessern und ihre Reserven aufzustocken, was ihnen nun etwas Luft verschafft. Doch eine längere, tiefe Rezession wird sie alle in eine Abwärtsspirale ziehen. Karibische Länder in weniger solider Verfassung leiden unter dem Rückgang des Tourismus. • Die Finanzkrise hat den begrenzten Handlungsspielraum Südasiens massiv eingeschränkt. In Indien führten die Kapitalabflüsse zu einem Rückgang der Reserven um 45 Milliarden US-Dollar, während die Währung sich um mehr als 20 Prozent abschwächte und die Aktienkurse um 50 Prozent einbrachen. Auch die sozialen Kosten steigen. Die indische Regierung schätzt, dass von Oktober bis Dezember letzten Jahres 500.000 Arbeitsplätze im offiziellen Sektor verloren gingen. In Bangladesch kehrten Berichten zufolge im vergangenen Monat mehr als 4.000 Arbeiter ins Land zurück, in dem die Demokratie gerade erst wiederhergestellt wurde, aber noch sehr labil ist. Pakistan schnallt den Gürtel enger, um nicht aus einem IWF-Programm herauszufallen, während die neue Regierung mit gewalttätigen Gruppen und Auseinandersetzungen über die Verfassung zu kämpfen hat. • Ostasien wurde durch die starke Einbindung in die weltweiten Beschaffungs- und Lieferketten von der Krise getroffen. Kleinere, ärmere Länder wie Kambodscha reagieren besonders empfindlich auf Rückgänge in Schlüsselsektoren und -märkten. In Kambodscha wurden in der Bekleidungsindustrie, der einzigen bedeutsamen Exportindustrie, rund 50.000 Arbeitsplätze abgebaut. Junge Frauen, denen die Arbeitsplätze im Bekleidungssektor besonders zugute kamen, sind nun am stärksten von Arbeitslosigkeit bedroht. Die nomadischen Hirtenfamilien, die in der Mongolei nach wie vor ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, verzeichneten bei Kaschmir, ihrem wichtigsten Verkaufsprodukt, einen Preisverfall um 40 Prozent. Die größeren Volkswirtschaften in Ostasien müssen sich ebenfalls auf massive Verschiebungen einstellen. In China haben schätzungsweise 20 Millionen Wanderarbeiter im verarbeitenden und im Baugewerbe ihren Arbeitsplatz verloren. Einige kehren ins Binnenland zurück, bleiben aber in den Städten, statt auf die winzigen Bauernhöfe zurückzukehren. China hat zwar ein umfassendes Konjunkturprogramm aufgelegt, dennoch erwarten wir einen Rückgang des Wachstums von 9 Prozent im Jahr 2008 auf 6,5 Prozent in diesem Jahr. • Auf Afrika entfällt zwar nur ein kleiner Teil des globalisierten Handels und der Investitionen, dennoch ist der Kontinent nicht immun gegen die weltweite Krise. In der Demokratischen Republik Kongo warnte ein Regierungsvertreter, dass in der Provinz Katanga durch Produktionskürzungen von Bergbauunternehmen der Verlust weiterer 350.000 Arbeitsplätze drohen könnte. Angesichts der sinkenden Diamantenpreise erwartet die Zentralafrikanische Republik Einnahmeeinbußen von 50 Prozent im Vergleich zu 2008. Die Ãœberweisungen in Kenia nehmen ab. Und da die Einnahmen aus dem Tourismus rasch sinken dürften, sind die Aussichten für Länder wie die Seychellen, in denen der Tourismus, die bedeutendste Quelle für Beschäftigung und Deviseneinnahmen, laut Prognosen allein im Jahr 2009 um 25 abnehmen soll, eher düster. • Die Länder im Nahen Osten und Nordafrika sind von der Kreditklemme bislang weniger stark betroffen. Doch die Reformländer im Maghreb dürften Touristen aus und Exportmärkte in Europa verlieren. Länder, die auf Wanderarbeiter angewiesen sind, werden sich nun wohl Gedanken machen müssen, wie sie mit den geringeren Ãœberweisungen und dem Zustrom der in die Heimat zurückkehrenden Arbeitskräfte umgehen wollen: Selbst Energieproduzenten sehen sich einer sehr großen Ungewissheit gegenüber und müssen sich Herausforderungen wie der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen, dem Schulbesuch und produktiver Arbeit stellen. Denn das Umfeld ist von eher begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten im privaten Sektor und weiterhin volatilen Rohstoffpreisen geprägt. Es wird auch besondere regionenübergreifende Probleme geben. Die Auswirkungen der Krise auf Frauen und Mädchen sind bereits sichtbar. Frauen spüren die negativen Folgen unverhältnismäßig stark. Wenn Familien den Gürtel enger schnallen müssen, werden Mädchen am ehesten von der Schule genommen. Und wenn jemand ohne Essen auskommen muss, sind es am häufigsten junge Mädchen, die unter Fehlernährung leiden. Innovationen und Maßnahmen Obgleich die wirtschaftlichen Bedingungen denen in der Vergangenheit ähneln, sind dies nicht die 1930er Jahre. Die Zentralbanken haben reichlich Liquidität bereitgestellt und einige haben kreative Lösungen entwickelt, um den Kreditfluss aufrechtzuerhalten. Die Industrieländer haben sehr viel schneller reagiert als in Keynes’ Zeiten, um die Nachfrage mit Konjunkturpaketen anzukurbeln. Aufsichtsbehörden für Finanzinstitute sind allgemein sehr wachsam in Bezug auf die Systemrisiken von Zusammenbrüchen, die Anleger vor Angst erstarren lassen. Die in Bretton Woods gegründeten multilateralen Finanzinstitutionen sind eingeschritten, um Ländern zu helfen, die Krisen abzuwenden oder zu bewältigen. Bislang ist keine allgemeine Flucht in Protektionismus zu beobachten, der sich in den 1930er als pures Gift erwies. Doch das Jahr 2009 wird ein gefährliches Jahr sein. Es ist nicht die Zeit, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Es ist nicht die Zeit, in falscher Zuversicht zu verkünden, das alles getan wurde, was getan werden kann. Es ist nicht die Zeit für eng gefasste Gegenmaßnahmen auf nationaler oder gar regionaler Ebene. Was uns die Ereignisse des vergangenen Jahres sehr deutlich vor Augen geführt haben, ist unsere Unfähigkeit vorauszusagen, was kommen wird und wie dadurch andere unerwartete Ereignisse ausgelöst werden können. Wenn wir uns den vor uns liegenden Herausforderungen stellen wollen, brauchen wir Innovationsgeist, der durch Taten untermauert wird. Wir müssen schnell und flexibel sein. Wir müssen Problemlösungen ausarbeiten, die Ressourcen und Fähigkeiten mehrerer Partner bündeln – von Regierungen, von internationalen Institutionen, der Zivilgesellschaft und des privaten Sektors. Wir brauchen Katalysatoren für die Bildung dieser neuen Partnerschaften. Im vergangenen Monat arbeitete die Weltbankgruppe mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und der Europäischen Investitionsbank (EIB) zusammen, um den Bankensektor in Mittel- und Osteuropa mit einem Finanzierungspaket im Volumen von bis zu 24,5 Milliarden Euro zu stützen. Die Organisation der Weltbank für den privaten Sektor, die IFC, hat gemeinsam mit der Japan Bank for International Cooperation 3 Milliarden US-Dollar für einen Kapitalisierungsfonds bereitgestellt, um Banken in kleineren Schwellenländern zu stärken und die Verfügbarkeit von Krediten für Kleinunternehmen und Privatpersonen zu gewährleisten. Gemeinsam mit der deutschen Entwicklungsbank KfW gründete die IFC eine Refinanzierungsfazilität mit einem Volumen von 500 Millionen US-Dollar zur Unterstützung von Mikrofinanzinstituten, denn Einzelunternehmer und Kleinunternehmen bieten die beste Absicherung in schwierigen Zeiten: neue Arbeitsplätze. Gegenwärtig analysieren wir die Auswirkungen der weltweiten Rezession auf Unternehmen in Entwicklungsländern und überlegen, wie wir dazu beitragen können, privates Kapital für die Umstrukturierung von Unternehmen und die Behandlung notleidender Anlagen zu mobilisieren. Heute erörtert der Rat der Weltbankgruppe einen neuen Vorschlag: die Auflegung eines Liquiditätsprogramms für den Welthandel im Volumen von 50 Milliarden US-Dollar. Der massive Rückgang des Handels wurde durch einen Mangel an Handelskrediten verschärft. Als Hilfsmaßnahme stockten wir zunächst die Handelskreditgarantien für Banken aus Entwicklungsländern, die sich am Programm beteiligen, viele davon aus Afrika, auf 3 Milliarden US-Dollar auf. Doch wir mussten feststellen, dass Garantien nicht genug sind, da für viele kleine Kreditgeber die Währungsfinanzierung unmöglich ist. Unser neues Liquiditätsprogramm für den Welthandel wird unsere Investition in Höhe von 1 Milliarde US- Dollar mit Finanzierungsmitteln von Regierungen und regionalen Entwicklungsbanken kombinieren. Diese öffentlichen Mittel können durch eine Vereinbarung zur Risikoteilung mit starken Partnern aus dem privaten Sektor, darunter Standard Chartered, Standard Bank und Rabobank, zusätzliche Mittel mobilisieren. Später können die Handelskredite wiederverwertet werden, wenn ältere Kredite zurückgezahlt werden. Gemeinsam mit der WTO werden wir außerdem versuchen, die Ressourcen und Erfahrungen nationaler Exportkreditagenturen nutzbar zu machen. Ich hoffe, dass die Staats- und Regierungschefs der G-20 diese Initiative für die Liquidität des Handels unterstützen werden. Mit der Unterstützung durch die G-20 werden wir an Zugkraft und Dynamik gewinnen, so dass wir dem von Premierminister Brown festgelegten Ziel näherkommen können. Ein Appell an die G-20: Für einen funktionierenden Multilateralismus sorgen Anders als die Wirtschaftskrisen in den letzten sechzig Jahren ist die heutige eine globale Krise. Und sie bedarf einer globalen Lösung. Wir leben in einer globalen Wirtschaft, die von Privatpersonen, Unternehmen, Gewerkschaften und einzelstaatlichen Regierungen vorangetrieben wird. Sie handeln, investieren, arbeiten, erfinden, tauschen und bauen in den Nationalstaaten und grenzüberschreitend. Die Nationalstaaten wiederum legen die Regeln fest und verpflichten sich zuweilen, vereinbarte Bedingungen und Verfahren zu beachten. Die G- 20 werden an dieser Realität des internationalen Systems nichts ändern. Doch ein gestärkter Multilateralismus kann die Vorteile mehren und die aus der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit resultierenden Risiken mindern. Es ist derzeit groß in Mode, von neuen Institutionen oder neuen Foren für eine globale Führungsstruktur zu reden. Das ist vielleicht ein Weg. Ich denke aber, wir sollten zunächst die bestehenden Institutionen reformieren und zu mehr befähigen. Die WTO, der IWF, die Weltbankgruppe und die regionalen Entwicklungsbanken können – wie auch die Organisationen der Vereinten Nationen – zusätzliche Aufgaben erfüllen. Mit über 180 Mitgliedern und weiteren Reformen, mit denen das Mitspracherecht und die Mitbestimmung von Entwicklungs- und Schwellenländern gestärkt werden, können diese Institutionen helfen, die Kluft zwischen den Nationalstaaten und der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit überbrücken, indem sie nationale, regionale und globale Interessen miteinander verbinden. Wollen die Staats- und Regierungschefs ernsthaft eine neue weltweite Verantwortung oder neue weltweite Führungsstrukturen schaffen, sollten sie zuerst den Multilateralismus modernisieren, um die WTO, den IWF und die Weltbankgruppe zur Ãœberwachung der nationalen Politiken zu befähigen. Licht ins Dunkel der nationalen Entscheidungsprozesse zu bringen, würde zu mehr Transparenz, Verantwortung und Konsistenz in den nationalen Politiken beitragen. In einem ersten Schritt sollten die G-20 ein Ãœberwachungssystem der WTO nutzen, um den Handel zu fördern und wirtschaftlichen Isolationismus zu verhindern, und gleichzeitig die Doha-Verhandlungsrunde zu einem Abschluss bringen, um die Märkte zu öffnen, Subventionen zu kürzen und ein Zurückfallen in alte Muster zu verhindern. Wir beobachten bereits einen schleichenden Protektionismus – Maßnahmen, die auf Kosten anderer Länder ergriffen werden: „Kaufe dies“- oder „Kaufe jenes“-Kampagnen, „Arbeitsplätze für diese Arbeiter“, „keine Visa für jene“. Wenn im weiteren Jahresverlauf 2009 die Arbeitslosigkeit steigt, wird sich der Druck auf die nationalen Staats- und Regierungschefs erhöhen, Probleme auf andere abzuwälzen. Eine Studie der Weltbank hat bereits gezeigt, dass 17 Länder der G-20 handelshemmende Maßnahmen ergriffen haben, seitdem sie sich im vergangenen November öffentlich gegen Protektionismus ausgesprochen hatten. Niemand wird wollen, dass vereinzelte Verstöße zur Gewohnheit werden – wodurch einer der wichtigsten Punkte beseitigt würde, durch die sich die aktuelle Krise von jener in den 1930er Jahren unterscheidet. Mit Unterstützung der Weltbank sollte die WTO befähigt werden, Maßnahmen zu ermitteln, die den internationalen Handel beschränken könnten, auch wenn sie formal keine WTO-Vorschriften verletzen. Wenn die G-20 der Ansicht sind, dass umfassendere weltweite Führungsstrukturen angemessen sind, sollten sie auch bereit sein, den „moralischen Zeigefinger“ in Form öffentlicher Prüfungen zu akzeptieren, die Dinge beim Namen nennen und anprangern. Zweitens haben zahlreiche Länder in letzter Zeit Konjunkturpakete geschnürt. Sie sollten die schlimmsten Folgen des aktuellen Abschwungs abfedern können. Doch niemand kann sicher sein, ob diese Pakete lange genug ausreichende Anreize bieten. Es gibt auch durchaus legitime Debatten über die Elemente der Pakete und deren Umsetzung. Der IWF hat ein globales Konjunkturpaket im Volumen von 2 Prozent des BIP vorgeschlagen. Der IWF schätzt, dass die bislang ergriffenen Maßnahmen 1,8 Prozent des BIP für 2009 und 1,3 Prozent des BIP für 2010 ausmachen. Was droht, ist ein Verlust an weltweiten Anreizen im Jahr 2010. Daher sollten die G-20 eine überwachende Funktion für den IWF institutionalisieren, der die Umsetzung dieser Konjunkturpakete prüfen, die Ergebnisse beurteilen und sich bei Bedarf für zusätzliche Maßnahmen einsetzen könnte. Einige Staats- und Regierungschefs haben erklärt, der IWF hätte vor Ausbruch der Krise die Rolle eines „Frühwarnsystems“ spielen sollen – es wäre also vernünftig, wenn sie den IWF beauftragen zu beurteilen, wie wir uns bei der Bewältigung dieser Krise schlagen. Drittens ist es wichtig, dass Regierungen das Problem der notleidenden Vermögenswerte in den Griff bekommen und ihr Bankensystem rekapitalisieren. Eine Konjunkturbelebung, die durch fiskalpolitische Anreize angestoßen wird, wird ohne die Lösung der Probleme in den Bankensystemen nicht von Dauer sein. Zu Keynes’ Zeiten ließen die Regierungen es zu, dass das weltweite Bankensystem nach dem Zusammenbruch der Creditanstalt in Österreich auseinanderbrach. Heute haben die Zentralbanken und Finanzminister versucht, das System zu stabilisieren. Doch das Vertrauen ist nach wie vor gering. Neue Anleger werden privates Kapital nicht in Gefahr bringen wollen, solange Verluste nicht offen bekannt gemacht werden und die Zukunft der Banken nicht geklärt ist. Die Erholung wird außerhalb des Finanzsektors beginnen, aber nur kurzlebig sein, wenn es keine Kredite gibt. Das Vorgehen der Politik, zur Rekapitalisierung der Banken staatliche Mittel einzusetzen, ist nicht unproblematisch. Banker sind nicht gerade beliebt, erst recht nicht, wenn sie gerettet werden müssen. Doch die Staats- und Regierungschefs müssen darlegen, dass die Wall Street und andere Finanzplätze gesund sein müssen, ehe es der Wirtschaft gut gehen kann. Die G-20 sollten den IWF und die Weltbankgruppe beauftragen, die Maßnahmen im Bankensektor und deren Ergebnisse zu überwachen. Ãœber das Financial Sector Assessment Program (FSAP) besteht in Entwicklungsländern bereits eine solche Zusammenarbeit. Wir würden dann auch Rückmeldungen zu den Industrieländern geben und die Ergebnisse veröffentlichen, ernst nehmen und später nachprüfen. Und während wir viertens die Fehler der Vergangenheit ausmerzen, erwarten die Staats- und Regierungschefs der G-20 zurecht eine Generalüberholung des Regulierungs- und Aufsichtssystems für das Finanzwesen. Der Großteil der Aufsichtsbefugnis wird bei den nationalen Regierungen verbleiben. Doch es besteht ein Bedarf für eine bessere, intensivere internationale Zusammenarbeit. Das Forum für Finanzstabilität (FSF) unter dem fähigen Vorsitz des italienischen Zentralbankchefs Mario Draghi hat damit begonnen, diese Lücke auszufüllen. Mit einer größeren Mitgliederzahl könnte das FSF eine weitere wichtige Institution eines stärkeren multilateralen Systems werden und sich gemeinsam mit dem IWF und der Weltbankgruppe mit der Umsetzung befassen. Ein Blick in die Zukunft: Entwicklungsländer müssen Teil der Lösung sein. Es gibt noch eine fehlende fünfte Dimension bei unserer Reaktion auf die globale Krise: die Entwicklungsländer. In London, Washington und Paris streiten die Menschen über Bonuszahlungen. In Teilen Afrikas, Südasiens und Lateinamerikas kämpfen die Menschen täglich darum, etwas zu essen zu haben. Für die Entwicklungsländer und ihre Bevölkerung ist die aktuelle Krise eine große Gefahr. Doch sie können auch ein wichtiger Teil der Lösung sein. Aus diesem Grund habe ich an die Industrieländer appelliert, 0,7 Prozent – also nicht einmal 1 Prozent – ihrer Konjunkturprogramme in einen sog. Vulnerability Fund zu investieren, um den Entwicklungsländern zu helfen. Dahinter steht der Gedanke, vorhandene multilaterale Mechanismen zu nutzen, anstatt neue Bürokratie zu schaffen, und so Sicherungsprogramme, die Infrastruktur und die Finanzierung für kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. Die Geber könnten dabei die Sofortfinanzierungsfazilitäten der Weltbankgruppe, der Organisationen der Vereinten Nationen oder der regionalen Entwicklungsbanken nutzen. Deutschland, Japan und Großbritannien haben bereits Mittel zugesagt. Ich würde mich freuen, wenn sich ihnen weitere anschließen. Während der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980er Jahren und der Asien-Krise Ende der 1990er Jahre brauchten die Regierungen dringend Liquidität und kürzten dazu Sozialprogramme – was die Armen am schwersten traf. Die Folge waren soziale Unruhen, Entbehrungen und sogar Gewalt. Die G-20 müssen aus diesen Fehlern lernen. Sozialtransfers haben sich als wirksames Mittel zur Steigerung der Ausgaben und zum Schutz der Armen gegen die schlimmsten Auswirkungen der Krise bewährt. Programme mit bedingten Geldleistungen oder Schulspeisungsprogramme können gezielte und effektive Maßnahmen sein, die zugleich vergleichsweise kostengünstig sind und für die unter Umständen sogar weniger als ein Prozent des BIP eines Landes aufgewendet werden müssen. Erfolgreiche Programme wie Oportunidades in Mexiko oder Bolsa Familia in Brasilien kosten rund 0,4 Prozent des BIP, während Äthiopiens größtes Sicherungsprogramm Productive Safety Net Kosten in Höhe von etwa 1,7 Prozent des BIP verursacht. Führende G-20-Länder rufen nach der Institutionalisierung eines „Frühwarnsystems“ für finanzielle Risiken, der Institutionalisierung neuer Aufsichtsstrukturen für den Finanzsektor und der Institutionalisierung von zusätzlichen Mitteln für den IWF, damit dieser umfassender intervenieren kann. Ist es nicht an der Zeit, Frühwarnsysteme für die Armen zu institutionalisieren? Ist es nicht an der Zeit, die Unterstützung für diejenigen Länder zu institutionalisieren, die in Krisen am schadenanfälligsten sind, vor allem in solchen Krisen, die sie nicht zu verantworten haben? Eine Selbstverpflichtung, Strukturen zur Unterstützung und Finanzierung von Sicherungsnetzen für die Schadenanfälligsten zu schaffen, wäre ein großer Schritt, mit dem sich diese G-Gruppe nachdrücklich gegen eine Zwei-Klassen-Welt aussprechen würde – in der es Gipfeltreffen für die Finanzsysteme gibt, die Armen aber totgeschwiegen werden. Wir müssen außerdem in Infrastrukturprojekte investieren, durch die Arbeitsplätze geschaffen werden können und die zugleich die Grundlage für Produktivität und Wachstum in der Zukunft schaffen. Während der Krise in den Jahren 1997 und 1998 stützten die chinesischen Investitionen in den Bau von Straßen, Häfen und Flughäfen sowie in den Energie- und Telekommunikationssektor die Beschäftigung und sorgten in den darauffolgenden zehn Jahren für mehr Wachstum. Mit finanzieller Unterstützung und guten Führungsstrukturen können andere Ländern das Gleiche erreichen und die produktiven Kapazitäten schaffen, um Kredite zurückzuzahlen. Dabei werden die Entwicklungsländer die weltweite Nachfrage, unter anderem nach Investitionsgütern und Dienstleistungen aus Industrieländern, ankurbeln. Tatsächlich besitzen Investitionen in die Infrastruktur in Entwicklungsländern wahrscheinlich ein größeres Potenzial, der Produktivität und dem Wachstum Auftrieb zu geben, als der Bau von „Brücken ins Nirgendwo“ in Industrieländern. In den vergangenen zehn Jahren verzeichneten 25 Länder in Subsahara-Afrika, in denen rund zwei Drittel der Bevölkerung leben, ein Wachstum von durchschnittlich 6,6 Prozent. Das ist eine große Chance. Doch der Mangel an Infrastruktur hat zu schweren Engpässen geführt und die Produktivität der Unternehmen um rund 40 Prozent verringert. Die regionale Integration wird in Mitleidenschaft gezogen. Mit einer besseren Infrastruktur könnte die Wachstumsrate in Afrika unseren Schätzungen zufolge um 2,2 Prozentpunkte gesteigert werden. Ähnlich ist die Lage in der Landwirtschaft: Investitionen zur Steigerung der Produktivität der afrikanischen Landwirtschaft in allen Teilen der Wertschöpfungskette – Eigentumsrechte, Bereitstellung von Saatgut und Dünger, Bewässerung, Straßen und Lagerhallen, Vermarktung – könnten Kleinbauern helfen, aus der Armutsspirale auszubrechen. Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass es für eine umfassende und nachhaltige Globalisierung unverzichtbar ist, mehrere Wachstumspole zu aktivieren, darunter die Entwicklungsländer. Wenn die Entwicklungsländer Teil der Lösung sein sollen, müssen sie mit am Tisch sitzen. Den G7 gelang es nicht, den internationalen wirtschaftlichen Realitäten gerecht zu werden. Nun haben die G-20 ihre Chance. Doch während rund 20 Länder am grünen Tisch sitzen, bleiben über 160 außen vor. Die multilateralen Institutionen können – mit ihrer deutlich höheren Mitgliederzahl – helfen, die G-20 an den Rest der Welt anzubinden. Für große Gruppen ist es nicht einfach, Verantwortlichkeiten aufzuteilen und sich auf ein verbindendes, gemeinsames Ziel zu einigen. Auch innerhalb der G-20 werden wir bereits Zeugen einer Blockbildung: die EU erarbeitet eine gemeinsame Position für ihre acht Teilnehmerländer, die BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China einigen sich ihrerseits auf gemeinsame Erklärungen. Diese Entwicklung mag zwar zu erwarten gewesen sein, doch es wäre bedauerlich, wenn die neue, größere G-Gruppe neue Abgrenzungslinien zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ziehen würde. Stattdessen sollten die Vereinigten Staaten als größte Industrienation und China als größtes Entwicklungsland sich bemühen, einen gemeinsamen Nenner zu finden. China und die Vereinigten Staaten haben die beiden größten Konjunkturpakete geschnürt: Doch die Vereinigten Staaten setzen in ihrem Konjunkturpaket in hohem Maße auf den Konsum, während China anstrebt, in den Ausbau der Kapazitäten zu investieren. Dieses Ungleichgewicht ist über längere Zeit nicht tragbar. Die beiden Länder werden gemeinsam an einer gegenseitigen Angleichung arbeiten müssen, wenn sie sich von dieser Krise erholen – für die Vereinigten Staaten heißt das höhere Einsparungen durch Haushalts- und Ausgabendisziplin und für China ein stärkerer Konsum, mehr Dienstleistungen für die Öffentlichkeit und mehr Möglichkeiten für Kleinunternehmen. Ihre nationalen Interessen können kombiniert werden, um ein gemeinsames systemisches Interesse zu stärken. Eine starke G-2 innerhalb der G-20 und die Ãœberwindung der Abgrenzungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern könnten die Eckpfeiler eines neuen Multilateralismus sein – eines Multilateralismus, der die Realitäten eines internationalen Systems anerkennt, dessen Basis nicht einfach Nationalstaaten, sondern Nationalstaaten sind, die durch ihre gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit miteinander verbunden sind. Dieser moderne Multilateralismus wird voraussetzen, dass aufstrebende Wirtschaftsmächte ein größeres Mitspracherecht bei der Frage haben, wie Institutionen wie die Weltbank und der IWF geführt werden. Das ist richtig und unvermeidbar. Die Welt hat sich dramatisch gewandelt, seit Keynes im Jahr 1944 an der Bretton-Woods-Konferenz teilnahm. Wir müssen uns mit ihr ändern. Der Gouverneursrat der Weltbank machte in diesem Jahr den Anfang mit einer ersten Serie von Reformen, die Entwicklungsländern mehr Einfluss geben sollen. Wir müssen nun weitermachen und die Stimmrechte und Sitze im Gouverneursrat neu gewichten. Die Umsetzung dieser Änderungen setzt voraus, dass Europa und die Vereinigten Staaten die alten Privilegien und Kontrollverhältnisse überdenken. Wie das geschehen soll, müssen die Regierungen entscheiden. Ich lege ihnen aber nahe, dabei Mut und Weitsicht zu beweisen. Die aufstrebenden Akteure müssen aber auch anerkennen, dass mehr Rechte mehr Verantwortung bedeuten, unter anderem eine Aufstockung der Entwicklungshilfe. Das Anerkenntnis neuer Mächte sollte nicht auf Kosten der Machtlosen gehen. Reformen sind überfällig. Aus diesem Grund bat ich vor einigen Monaten den ehemaligen mexikanischen Präsidenten Zedillo, den Vorsitz über eine hochrangige Kommission zu übernehmen, die sich mit den Führungsstrukturen in der Weltbankgruppe befasst. Diese Kommission soll Empfehlungen ausarbeiten, die, wie ich hoffe, eine nützliche Basis für die Beschlussfassung der Anteilseigner schaffen werden. Die vor uns liegende Herausforderung In den letzten sechs Jahrzehnten konnten wir beobachten, wie die Märkte Hunderten Millionen Menschen helfen können, die Armut zu überwinden und zugleich mehr Freiheit zu erlangen. Wir mussten aber auch feststellen, dass zügellose Gier und Rücksichtslosigkeit diese Erfolge wieder zunichte machen können. Für das 21. Jahrhundert brauchen wir Marktwirtschaften mit menschlichem Anstrich. Humane Marktwirtschaften müssen anerkennen, dass sie gegenüber dem Einzelnen und der Gesellschaft Verantwortung tragen. Als Keynes bei der Bretton-Woods-Konferenz seine letzte Rede hielt, befand sich die Welt noch im Krieg. Bei der allgemeinen Großwetterlage schien die Nachricht von der Gründung irgendwelcher ominöser Institutionen nicht allzu bedeutend. Doch sie wurden die Eckpfeiler der Nachkriegsarchitektur. Der bevorstehende G-20-Gipfel bringt die Staats- und Regierungschefs der führenden Nationen an einen Tisch. Ihr gemeinsames Handeln ist entscheidend. Die Staats- und Regierungschefs sollten die ihnen hinterlassenen multilateralen Institutionen reformieren, auf sie bauen, von ihnen lernen und sie nutzen. Wenn die G-20 wie eine Lenkungsgruppe handeln, können die multilateralen Institutionen ihnen helfen, diese Krise durch Ideen und Taten zu überwinden. Wenn wir die Chancen nutzen, die die aktuelle Krise trotz allem bietet, sollten wir an Keynes’ Worte in seiner Schlussbemerkung denken: „Wenn wir bei einer größeren Aufgabe so weitermachen können, wie wir bei dieser kleinen Aufgabe begonnen haben, besteht Hoffnung für die Welt.“